Nahnou Houm
(2017, ECM/Universal ECM 2572)
Jon Balkes erstes Album mit seinem Siwan-Ensemble war ein imposanter künstlerischer Erfolg, bis hin zum »Jahres-preis der deutschen Schallplattenkritik«. Glücklicherweise bleibt dieses Meisterwerk kein Einzelstück, wenngleich von der Besetzung, die vor zehn Jahren gemeinsam im Studio war, Anfang 2017 nurmehr Perkussionist Helge Norbakken und Barokksolistene-Leiter Bjarte Eike Teil von Siwan sind. Dass es so lange dauerte, bis er einen Nachfolger vorlegte, verwundert nicht, bedenkt man, auf wie vielen kreativen Baustellen Balke aktiv ist und wie ambitioniert das Projekt von Anfang an war; mit Siwan geht es um große Themen.
Nun schreibt er, dass jüngere Entwicklungen der (nationalen wie weltweiten) Politik und die ökologischen Aussichten ihn dazu brachten, mit dem Projekt Siwan eine Stufe weiter zu gehen: »Dunkle Horizonte für diesen kleinen Planeten. (...) Was können Künstler beitragen, angesichts der Mächte, die unvorstellbar stärker sind als sie selbst?« fragt Balke. Und (s)eine Antwort gibt er mit »NAHNOU HOUM« (»Wir sind sie«) – eine radikale Wendung nach dem leisen, solistisch verspielten Soloalbum »WARP« im Vorjahr. Viele der Stücke sind, mehr als beim Debüt, von einer markanten Traurigkeit durchzogen, die freilich nie in Tristesse gleitet, sondern stets von Ambivalenz und vorsichtiger Hoffnung durchzogen ist.
Musikalisch ist das Album noch schwerer zu kategorisieren als der Vorgänger: Jazz ist es nicht, Folk und Klassik zwar schon ein wenig eher, doch »Nordic Folk« und »Alte Musik« keinesfalls; eher Nahost-Volksmusik kammermusikalischer Anmutung mit unaufdringlich improvisierten Passagen. Die Algerierin Mona Boutchebak führt mit ihrer eindringlichen Interpretation verschiedensprachiger Texte aus dem 11. bis 17. Jahrhundert die an sich divergierenden Elemente dieses entgrenzten multikulturellen Konzepts zusammen, während Balke Beeindruckendes leistet bei der Schaffung eines gemeinsamen, ausgefeilten Ensembleklangs. (ijb)
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