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![]() Eine Reportage von Nathalie Martin So wie Provinssirock die Festivalsaison eröffnet, so setzt der »Entenrock« aka Ankkarock den Schlusspunkt besser gesagt das Ausrufezeichen hinter den finnischen Partysommer.
Tag I, Samstag: Hyvä filis ...
Der Besucher hat die Wahl zwischen drei Bühnen, alias Korso-/ Rock- und Puistolava wobei die Wahl leider wörtlich zu nehmen ist: Korso und Rock liegen noch nah beisammen, aber die Puisto ist am anderen Ende des Geländes, sprich mindestens eine Viertelstunde Fußmarsch entfernt. Der Besucher sieht, wenn überhaupt, gerade mal die Hälfte, so unglücklich überschneiden sich manche Bands. Ein weiteres Manko: Die Bühnen sind sauhoch; außer vor der Rocklaiva kann man ohne heftiges Teleobjektiv kaum richtig fotografieren. Dabei hat Ankka wirklich gute Kameraleute plus mehrere Leinwände, da könnten die Bretter doch einen Meter tiefer liegen. Doch nun zu den Künstlern auf den Brettern: Lemonator sind dank des gut versteckten Presse-Eingangs bereits fertig; für Fotos von den Finnisch singenden Trashern Mokoma ist es ebenfalls zu spät. Vor der Korsolava stehen nur wenige Leute und schauen Timo Rautiainen & Trio Niskalaukaus zu ... kein Wunder, kurz nach 13 Uhr. Hevikaraoke mehr als heavy
Auf der Bühne erklingt gerade eine schreckliche weibliche Variante von Red Hot Chili Peppers »Under The Bridge«, gefolgt von einer nicht ganz so schrecklichen, männlichen Version von Metallicas »Unforgiven«. Ich mache mich auf den Weg zu Apulanta. Es ist gerade mal 14 Uhr und ich passiere gleich drei Sicherheitsleute, die zu verhindern versuchen, dass eine im liegen kotzende Tussi daran erstickt. Mahlzeit! Was ist denn mit Apulanta los? Berühmt berüchtigt für ihre Bühnenshows fehlt ebendiese anno 2006. Oder nur auf Ankkarock? Trotzdem singt das zahlreiche Publikum ihre Klassiker »Mitä Kuluu« oder »Se Känne Pois« mit. Die Security nimmt's äußerst genau: Außer Kleinkindern darf keiner auf der Schulter sitzen, an »Crowdsurfing« oder »Stagediving« wagt erst recht niemand zu denken.
Ungeachtet den Temperaturen folgen etliche Teenies der Parole »Wer seinen Stil zeigen will muss leiden« und hüllen sich in der Affenhitze nicht in Lack oder Leder, sondern in natürlich schwarze 100% Plastik-Hosen, während andere gerade mal einen Bikini tragen. Auf der Rocklava stimmen Don Johnson Big Band inzwischen »Road« vom aktuellen selbstbetitelten Album an. Allerdings ohne Emma Salokoski, die beim Umsonst-Festival im Kaivopuisto noch mit am Mikro stand. Dafür ergänzen zwei Percussion-Mädels die Band. Sänger Tommi bewegt sich nicht ganz so wild wie sonst; den Grund erfuhr ich nach ihrem Auftritt, als ich den Sänger später zufällig backstage traf: DJBB führen die ganze Nacht durch, deswegen musst er sich auf der Bühne etwas zurückhalten, weniger als gewohnt hüpfen und Emma spielt augenblicklich einen anderen Gig. Lahme »Neben-Enten«
Eine weitere Amiband betritt die Rocklava: CKY aus Pennsylvania klingen wie Life Of Agony für ganz Arme, aber immerhin finden sie selbst sich voll geil. Das zeigt zum einen der lustig gewählte Name, der so toll in »fuCK You« passt wie lustig , zum anderen ihre Selbstinszenierung: Der Sänger klatscht nach der Schau die Menge ab, sofort zerrt ihn die Security weg, während alle anderen Bandmitglieder Fankontakt halten dürfen. Mittlerweile hat sich der »total rebellische« Fronter wieder zurück in den Graben geschlichen und ist in die Menge gesprungen. Wenn diese ganze Show mal kein abgekartetes Spiel war.
Den kürzesten Auftritt des Festivals absolvieren Mirror Of Madness parallel zu CKY: Die Ankkarock-Nachwuchs-Gewinner des vergangenen Jahres belohnen die Organisatoren mit einem zehnminütigen(!) Auftritt auf der Puistolava ... vermutlich haben sie nicht mehr Lieder. Es folgen PMMP alias Paula Vesala, und Mira Luoti. Anteeksi, aber das kann ich nicht anschauen. Dieses Sängerinnen-Duo erinnert mich immer an die russischen Eintagsfliegen Tatu kennt die noch jemand? PMMP sind angesagt in Finnland, zieren sogar als »Neben-Enten« 2006 das Banner der Puistolava. Unverständlich. Ihre Musik ist einfach nur seicht. Längeres Hören führt zu reizbaren Verstimmungen und allgemeiner Erschöpfung. PMS wäre ein treffenderer Name. Ungeduldig scharren die blondierten, toupierten Fans in der ersten Reihe vor der Korsolava mit den Hufen. Sie warten eindeutig auf ihr Frisur- und Make-Up-Vorbild Michael Monroe. Kaum beendet die Hanoi Rocks-Frontröhre nach »Boulevard Of Broken Dreams« plus »Malibu Beach Nightmare« den dritten Song »Back In Yerface«, muss die Security die Erste aus der Masse zerren. Die völlig Verausgabte kann nicht mal mehr stehen, hängt schachmatt über der Schulter des Securitymannes. Das querbeet gemischte Volk geht ab bis in die letzten Reihen; zu »Up Around The Bend« hüpft auch das extrem junge finnische Bikiniteam mit Rücksicht auf die Eltern wird kein Foto von ihnen erscheinen. Amorphis statt Rasmus
Opeth stellt die Organisatoren vor ein Problem: Normalerweise dürfen die Fotografen die ersten drei Lieder im Graben fotografieren was aber tun, bei einer Band deren Songs bis zu 20 Minuten dauern? Einer Band, die auf einem Festival ungefähr fünf Lieder als Gesamtrepertoire auffährt? Nach einem Blick auf die Uhr scheucht die Security uns irgendwann aus dem Graben, während Sänger Mikael Åkerfeldt grunzt, kreischt und die ganze Band mosht. Schließlich stellt er die fatale Frage »What's the best country?« Tja, Nationalstolz geht über Fan-Loyalität, alles brüllt: »Finland«. »Okay, we're Opeth from Sweden«. Besser sind die Reaktionen auf »What about Rock?« Alle grölen. »Metal?« Noch enthusiastischeres Grölen. »Deathmetal?« Steigerung. »Blackmetal?« Abflauen. »Hiphop?« Stille. »Okay, we gonna play our Hiphop-Song. It's from the album MY ARMS YOUR HEARSE«. Zum Glück nur leere Drohung, stattdessen volle Dröhnung. Überraschung auf der Korsolava. Mann, haben sich the Rasmus verändert! Nein, keine Angst, auf der Bühne stehen Amorphis. Die Erklärung? Rasmus spielten just in Schweden, aber wegen Schlechtwetter konnte der Flieger nicht starten. Dementsprechend locker steht das Publikum nun in den ersten Reihen. Wer explizit wegen Rasmus nur ein Ticket für Samstag gekauft hat, beißt sich vermutlich gerade in den Allerwertesten. Bis zu jenem reichen mittlerweile die Dreads des Fronters Tomi Joutsen, der trotzdem wunderbar moshen kann. Das Disco Ensemble gibt sich härter als erwartet, derweil Eläkeläiset seit 15 Minuten früher als geplant auf der Bühne sitzen. Sie kommen jedoch nicht gegen Amorphis' Lautstärke an, treten ab und kehren mit »Humppaidiootti»« aka The Hives' »Idiot Walk« zurück. Schnell zeigt Humppa die in Finnland bekannte vereinigende Wirkung: Einer startet die beliebte »humppanaise«, vom Punk bis zum Heavy, vom Teenie bis zur Oma, alle machen mit.
Auf dem Heimweg passiere ich die Hevikaraoke-Zone, wo der Roctum-Sänger gerade »Shout At The Devil« performt. Abartig. Höchste Zeit zu gehen. Tag II, Sonntag: ... reilu meininki
Pünktlich zu den Poets Of The Fall, aber erst nach den Auftritten von No Shame sowie Von Hertzen Brothers, betrete ich das Gelände: Wegen des geplatzten gestrigen Rasmus Gigs stehen nun Poets Of The Fall statt Amorphis auf der Bühne, und Rasmus haben noch eine Stunde Verschnaufpause bis sie den geplanten POTF-Termin besetzen. Die Poeten spielen viel vom neuen »CARNIVAL OF RUST«, plus natürlich die Hits vom Debüt wie »Late Goodbye«, »Overboard« oder »Lift«. Teenies kreischen, als Mark das Hemd auszieht man beachte: Er hat noch ein Unterhemd an. Derartige Gefühlsäußerungen liegen für den jüngsten POTF-Fan noch in weiter Ferne. Um noch etwas von Lapko zu sehen, muss ich mich sputen. Am anderen Ende des Geländes beschließen die finnischen »Global Battle Of Bands«-Gewinner gerade ihr Set, gerade mal zwei Lieder sehe ich noch. Schade. Weiter geht's mit Rasmus, die härter als gewohnt, rockiger einsteigen, fast wie in alten Zeiten vor der Weichspüler-Ära. Das Quartett spielt viel vom neuen Album; auf das Intro »Dancer In The Dark« folgt »Night After Night«, »Falling« und »Shot«; dabei jubeln ihnen die üblichen Verdächtigen zu: Junges Volk. Ob wohl alle enttäuschten Fans, die sie gestern verpassten, jetzt vor der Bühne klatschen? Der neue Zeitplan stand erst heute Morgen fest, Pech hatte, wer zu spät aus den Federn kroch. Etwas albern wirkt der Ventilator, der bei Lauris Mütze keine Wirkung zeigt. Nötiger hätte ihn die hüpfende Meute zum Gassenhauer »In The Shadows«. Punk trifft The Dubliners
Bis ich bei der Scandinavian Music Group ankomme, ist es (mal wieder) zu spät für Fotos. Ruhiger, Gitarren-betonter Pop um Sängerin Terhi Kokkonen, der auch live viel zu ähnlich klingt, die Menge steht leblos. Langsam werden die Songs etwas lebhafter, die Menge bewegt sich minimalst. Dafür weiß Flogging Molly, der irisch-amerikanische Mix, was Stimmung heißt: Punk trifft The Dubliners. Wenn der rothaarige Sänger zum Mikro greift und die Geigerin feurig fiedelt, dann tanzt das Volk. Partystimmung zur klassisch irischen Belegschaft (Akkordeon, Geige, Tin-Whistle, Mandoline), vermischt mit schwermütigen Songs plus Punk zu einem einzigartigen wilden Sound. Oder wie es Fronter Dave King einst erklärte: »Wenn man die Gitarren und das Schlagzeug wegnimmt, wäre Flogging Molly eine nette kleine irische Folk-Band ... nimmt man aber die Violine, Mandoline und das Akkordeon weg, dann wäre Flogging Molly eine Hardcore Punk-Band«. Anteeksi Maija Vilkkumaa, populärste Sängerin im Land der tausend Seen, du schmetterst deine Melodien leider viel zu weit weg von meinem momentanen Standort. Dafür befinden sich Teräsbetoni direkt vor mir. Nun ja, den Opener kennen wir schon vom vergangenen Jahr. Dazu gibt's allerhand Tracks vom neuen Album, die das altbekannte Eisen schmieden. Immerhin haben die Jungs (noch) Spaß auf der Bühne; die sehr jungen Fans betrachten »Taivas Lyö Tulta« immer noch als DIE Kulthymne alles wie gehabt. Egotrippi ereilt das gleiche Schicksal wie ihre Landsfrau Maija Vilkkumaa: Zu weit weg. Zeit für die nächste Band aus den USA: Ministry, die eben erst ihre neuste Scheibe herausbrachten. Der Auftritt enttäuscht: Live sind die gealterten Amis einfach nur kolossal laut. Die Songs verschwimmen zu einem auffallend homogenen Soundbrei. CD bevorzugt. Zumindest geben Ministry mit ihren T-Shirts ein politisches Statement ab.
Tiktak auf der Rocklava. Ach nö, lass mal. Ich ziehe Turbonegro vor. Die Norweger geizen nicht mit ihren legendären Song-Ansagen, wie: »You are poor, you need money? Do what we do: Sell Your Body«. Die Gunst der Besucher sichern sie sich mit einem: »Always, when I think about Hel(l)sinki, I think Hel(l)sinki must be The City Of Satan«. Hank spannt problemlos den Bogen vom Alkohol zum und Seemann: »Happy Tom is like you in Finland an alcoholic. We're happy to play on this AA-Meeting. But Happy Tom's also a sailor and homosexual, so he wrote the Song Sailorman«. Und zu guter Letzt erfahren die Zuschauer, weswegen der attraktivste Norweger 2005 Finnland mag: »I like Finland fort two reasons: Puukko and vodka«. Die Headliner des Festivals, deren Fronter Alexi Laiho dementsprechend als Ente 2006 verewigt wurde, zeigen Humor: Sie betreten die Bühne zur Eläkeläiset-Version ihres Songs »Hate Me!« alias »Vihaan Humppa«, der später natürlich noch im Original zelebriert wird. Wie immer bei Children Of Bodom-Shows knallt, brennt es, zu Killern wie »Sixpounder« oder »Needled 24/7« lodern Flammen, schießen Funken empor. »Silent Night, Bodom Night« in Vantaa, das Festival klingt aus. Noch vor Ende des Bodomkinder-Gigs verlasse ich das Gelände ohne in der Masse festzustecken. Der Sommer ist vorbei.
Ankkarock: Hintergründe
Die Enten rocken in Vantaa, einem halbstündig entfernten Nachbarort Helsinkis. Korso heißt das Viertel, an gleichnamiger Haltestelle steigen Besucher aus dem Zug oder Bus, zehn Minuten später erreichen sie das Festival oder zelten in der Nähe des von 11 Uhr morgens bis 11 Uhr abends geöffneten Geländes. Es gibt keine Altersbeschränkung, deswegen trennen die Veranstalter »Biergärten« separat ab. Pluspunkt: Kinder unter sieben Jahren in Begleitung eines Elternteils zahlen (noch) keinen Eintritt. © Nathalie Martin, exklusiv für Nordische Musik |
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