Mika Vainio:
Reat
( LP,
2017, Elektro Music Department EMD 020 )
Bestürzenderweise ist Mika Vainio, einer der einflussreichsten Avantgarde- bzw. Elektronikmusiker seiner Generation im April 2017 in Frankreich überraschend verstorben, durch einen tödlichen Sturz. Er wurde 53 Jahre alt. In den 1980ern war er Teil der frühen Noise-Szene Finnlands, ab 1983 z.B. mit Gagarin-Kombinaatti, bevor er ab 1993 mit Ilpo Väisänen und Sami Salo das Projekt Panasonic gründete, das ab 1996 als Duo ohne Salo und ab 1998 unter dem Namen Pan sonic weiterbestand und mit einem künstlerisch wie klanglich einzigartigen und radikalen Ansatz zahlreiche Musiker auf internationaler Ebene beeinflusste. Parallel veröffentlichte Vainio eine unüberschaubare Menge an Soloalben und -EPs unter diversen Pseudonymen, gestaltete Sound Designs für Kunstprojekte und spielte in Kollaborationen mit unterschiedlichsten Kollegen wie Alan Vega, Vladislav Delay, Stephen O'Malley (Äänipää), Fennesz oder John Duncan, um nur einige zu nennen.
Außerordentliche Aufmerksamkeit verschaffte ihm 1996 sein radikaler »Ø Remix« von Björks mit Tricky entstandenem Liebeslied »Headphones«, der als singulärer Höhepunkt Björks erfolgreiches Album »TELEGRAM« beschloss und ohne Frage das Original übertraf; eine seiner besten Arbeiten und ein Meisterstück der Remix-Kategorie. Gerne hätte man von Mika Vainio mehr in dieser Quasi-Pop-Richtung und mit Gesang gehört, doch leider blieb »Headphones« ein einmaliger Ausflug in diese konventionelleren Gefilde.
Vainio lebte längst nicht mehr in Helsinki, angeblich aufgrund der Kälte und der langen Winter, war zuerst nach Barcelona gezogen, lebte dann einige Jahre in Berlin und zum Ende seines Lebens kurz in Oslo. Interviews gab er so gut wie nie, und auch eine Anfrage des Filme machenden Rezensenten für eine filmische Zusammenarbeit lehnte er 2010 dankend aber entschieden mit der Begründung ab, es sei ihm unmöglich zu arbeiten, wenn ihn jemand dabei beobachte, es würde ihn zum »Posing« verleiten.
Während Ilpo Väisänen mit seinen guten Soloprojekten weit weniger stark in Erscheinung trat und mit Dirk Dresselhaus das Projekt Angel führte (2017 nannten sie es für ihr letztes, Vainio gewidmetes Album in »die ANGEL« um), konnte man bei bei Mika Vainio stets sicher sein, dass jedes neue Album Ohren und Geist inspirieren würde, häufig radikale und nie gehörte Sounderfahrungen und Klangideen bot. Nach der Dichte großartiger bis meisterhafter Alben in seinen letzten Jahren, wie »Fe3O4 – MAGNETITE«, »LIFE«, »KILO«, seinem quasi-autobiografischen »KONSTELLAATIO« als Ø und den exzellenten Duoprojekten mit Joachim Nordwall, Arne Deforce und Frank Vigroux ist sein letztes, ausschließlich auf LP veröffentlichtes Werk »REAT« daher überraschend zurückhaltend und un-radikal. Weit davon entfernt, Mittelmaß oder uninteressant zu sein, ist es doch zumindest bedauerlich, dass sich Vainio mit einem Album aus dieser Welt verabschiedet, das zu keinem Zeitpunkt mit der Größe der genannten Werke erreicht – aber immerhin als schönes Nachwort an verschiedene Phasen seines Werks anknüpft. (ijb)
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